Gebrauchsanweisung zum Verschwinden
2017
PREMIERE Weltkunstzimmer Düsseldof
Theater Terpsichore, Tokio
Gesellschaftlich gibt es im heutigen Japan den oft zitierten Spruch: “Sei wie die Luft!“ Die Idee vom “Verschwinden” impliziert eine vergangene Anwesenheit, die ihre Spuren im jetzigen Zeitpunkt hinterlassen hat. Wenn wir „Verschwinden“ sagen, wissen wir, dass wir es mit einem Opfer zu tun haben: dem Individuum. Und mit einem leeren Raum: der Erinnerung seiner Aktionen. Wie in einem perfekten Mord, kann das Verschwinden nur durch die Augen eines Zeugen beobachtet werden, in diesem Fall durch das Publikum. Verschwinden darf dabei auch als ein Gegenmittel gegen die Dominanz des Individualismus in unserer Gesellschaft gesehen werden. Eine Alternative zur Reality-Show, zu 15-Minuten-Berühmtheit. Sind wir bereit, die Auflösung des Einzelnen, das Scheitern von Farben und Formen, das Verblassen des Superstars zu akzeptieren?
Das Projekt wird unterstützt von:
Hans-Peter-Zimmer Stiftung
Kulturamt der Landeshauptstadt Düsseldorf
NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste e.V.
Kunststiftung NRW
Japan foundation
GEBRAUCHSANWEISUNG ZUM VERSCHWINDEN
Gastspiel, Terpsichore Theater, Japan
Tokio 08.12.2017, Shinichi Takeshige
Nach dem Besuch der Terpsichore-Vorstellung im Dezember 2017
Shinichi Takeshige:
Diese Arbeit ist, wie der Titel andeutet, eine Frage an das zeitgenössische „Ich“ und ein Versuch zu fragen, ob „Tanz“ noch im Körper vorkommt, nachdem der postmoderne Tanz dem Tänzer das technische Privileg genommen und ihn alltäglich und anonym gemacht hat. Das Ziel ist sehr modern. Denn der Zweifel am „Ich“ (Selbstidentität), der die Grundlage der modernen demokratischen Gesellschaft bildet, ist seit Nietzsche ein wichtiges Thema der modernen Philosophie, und meiner Meinung nach hat Tatsumi Hijikata aus diesem Zweifel heraus Butoh gegründet. Die Besetzung besteht aus vier Tänzerinnen und Tänzern, Jascha Viehstädt und Judith Wilhelm, sowie der Kunstperformer Soya Arakawa und der Geiger Naoki Kita, aber die Bewegungen der Tänzer sind bewusst auf das Alltägliche beschränkt, und Kita spielt nicht nur, sondern tritt auch gelegentlich mit seiner Geige auf, sodass es keine Hierarchie in der Beziehung zwischen den vier auf der Bühne gibt. Mit Ausnahme von Kita fehlt es den dreien, wie der Titel schon sagt, an Bewusstsein ihrer selbst und sie führen schweigend eine Bewegung aus, die weder vom Tanz noch von der Handlung zu unterscheiden ist. Es gibt Szenen, in denen die Darsteller eine Beziehung zueinander haben, aber es gibt keinen emotionalen Austausch jeglicher Art. Das Element der „Emotion“, das dem „Ich“ einen starken Realitätssinn verleiht, wird sorgfältig von der Bühne ausgeschlossen, aber erst in Bachs „Chaconne“, die Kita in der zweiten Hälfte der Aufführung spielt, wird es getragen.
Doch „When I Disappear“ besteht nicht nur aus solch unmittelbaren Elementen des postmodernen Tanzes, sondern auch die Tatsache, dass die gesamte Komposition mit der surrealistischen Traumzeit verwoben ist, ist ein weiteres Charakteristikum des Werkes. Besonders deutlich wird dies in den Bildsprüngen in der zweiten Hälfte, wenn die drei verschiedene Tricks mit Tischen und Mänteln vorführen, und der anschließenden theatralen Szene, in der zwei Männer in Holzfässern von Wilhelm gerollt werden, um sich auf der Bühne zu bewegen. Für die Choreografin Chikako Kaido ist die unbewusste Welt der Träume auch eine Möglichkeit, das „Ich“ auszulöschen.
Was mich bei dieser Aufführung persönlich am meisten beeindruckt hat, war der achtminütige Solotanz zu Beginn des Fishteto, insbesondere die unerbittlich wiederholte Rotation. Im Gegensatz zu den Pirouetten im Ballett ist die Drehung insofern einzigartig, als der linke Fuß, der die Achse der Bewegung darstellt, nicht vom Boden gehoben wird und der lange Körper leicht gebeugt, manchmal schwankt und sinkt und sich dann nach links dreht. Es schien eine ständige Verschiebung zwischen der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts (der Achse, die „mich“ physisch unterstützt) und dem Verlassen des Gleichgewichts zu sein. Es gab definitiv einen Tanz, bei dem „ich“ verschwand und seine Grenzen aufgedeckt wurden, und ich denke, dass die Rotation zu einem Leitmotiv für die ganze Bühne wurde. Die Tatsache, dass wir ein Leitmotiv präsentieren konnten, das tief mit diesem Thema verbunden war, machte dieses Stück überzeugend. Insgesamt erschien mir jedoch das Beharren der Choreografin auf einem postmodernen, tanzähnlichen Akt, der Emotionen verneint, unbefriedigend. Es stimmt, dass Emotionen die Illusion eines „Ich“ erzeugen, aber um aus dieser Illusion herauszukommen, ist es notwendig, die Emotionen nicht zu leugnen, sondern sie einmal einzufrieren und dann aufzutauen und sie in etwas anderes umzuwandeln. Schließlich ist es kein Schauspiel, sondern ein „Tanzwerk“.